Verstrahlter Weizen und anderes Gift

Manfredonia in Apulien war bisher eine eher unbekannte kleine Hafenstadt an der südlichen Adria. Seit die „Deep Sea Carrier“ mit 2500 Tonnen Giftmüll dort anlegen sollte, befindet sich die Bevölkerung im Kriegszustand mit den Behörden. Sie wehrt sich nicht nur gegen die Giftfracht, sondern mittlerweile auch gegen das örtliche Chemiewerk. Schluss mit der Umweltverschmutzung, weg mit der Chemie.


In Bari, einige Kilometer weiter südlich, wird währenddessen eine Schiffsladung Weizen aus Griechenland, über 2000 Tonnen, beschlagnahmt. Zufällige Messungen haben ergeben, dass ein Kilo Körner durchschnittlich mit 1600 Becquerels Cäsium belastet ist. Deshalb wird die „Alexandra M.“ mit zypriotischer Flagge wieder zurück nach Griechenland geschickt. Zuvor muss sie allerdings den bereits in eine Nudelfabrik gelieferten Weizen wieder aufladen. Der Chef der Hafenbehörde von Bari war vollkommen überrascht von dem Strahlenfund und erklärte: „Also, das ist das erste Mal, dass wir hier in Bari solch eine Ladung gefunden haben, das ist vorher nie passiert. Naja, die Leute können jetzt wieder beruhigt Brot und Nudeln essen, nachdem das Schiff wieder abgefahren ist und den verstrahlten Weizen wieder mitgenommen hat. Zumindest bei uns hier in Bari.“ Fraglich ist, ob das auch andernorts gilt. Just in Manfredonia, wo die Bevölkerung mit Straßensperren auf die Umweltverschmutzung reagiert hat, wurde bereits vor Monaten eine ähnlich verseuchte Ladung, ebenfalls aus Griechenland, konfisziert, wie erst jetzt bekannt wurde. Die Herkunft ist ziemlich klar: nach Tschernobyl verstrahlte Ernten wurden erst einmal gelagert und nun, nachdem die Kontrollen wieder lockerer sind, werden sie von skrupellosen Händlern mit unbelasteter Ware vermischt. Seit einigen Tagen herrscht deshalb wieder Cäsiumalarm in italienischen Hafenstädten.


Alarmstimmung auch in der Provinz Savona im Nordwesten des Landes. Seit Jahren bereits kämpfen die Bürger von Cengio im Bormidatal gegen eine Chemiefabrik die seit bald hundert Jahren Fluss und Talboden verseucht. Rund 32 Millionen Tonnen Giftmüll liegen in der Erde um die Fabrik herum. Eine Sanierung scheint unmöglich. Beinahe täglich wird nun demonstriert auf den Straßen von Cengio. Proteste gibt es auch von der Besatzung der „Zanoobia“, einem Giftschiff, das bereits seit Monaten im Hafen von Genua liegt und darauf wartet, dass endlich die tausende von Giftbehältern in ihrem Bauch ausgeladen werden. Die Besatzung droht, das Schiff zu verlassen, weil sie nicht einmal anständiges Essen bekommt.


Ähnlich wird es wohl auch den Seeleuten der „Deep Sea Carrier“ gehen, die vor der Küste Apuliens dümpelt. Die einzige Möglichkeit anzulegen besteht in Manfredonia, aber dort waren erst vor zwei Tagen wieder 20000 Bürger auf der Straße um dagegen zu protestieren. Die Lage spitzt sich überall zu. Denn niemand weiß, was mit den Bergen von Gift, zu Land und zu Wasser geschehen soll. 


1988, Karl Hoffmann

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