Streit ums Gaspedal

Seit Wochen tobt in Italien der Streit ums Gaspedal. „Runter vom Gas“ hatte Verkehrsminister Ferri über Nacht befohlen, und mancher Autofahrer, ob Italiener oder deutscher Tourist musste dafür blechen, dass es mit dem Langsamfahren gar so schnell gegangen war.


Bis Mitte September wurde das Tempolimit von 110 zähneknirschend akzeptiert und Minister Ferri, zu deutsch bedeutet das Eisen, fühlte sich noch obenauf: weniger Unfälle, weniger Verletzte, weniger Tote – eine erfreuliche Bilanz. Dann bekam der eiserne Tempobegrenzer Druck von der eigenen Regierung und vom Parlament. 110 sei zu langsam, und Ferri gab nach, zähneknirschend.


Er verordnete neue Verkehrsregeln mit einigen Hindernissen. Wochentags, wenn vor allem Laster die Autobahnen verstopfen: rauf aus Gaspedal, bis Tempo 130. Samstags, sonn- und feiertags, wenn die Straßen eher leerer sind, runter vom Gas: 110 km/h. Die Autofahrer nahmens erst mal mit Humor und fragten, ob der Minister z. B. an seinem Geburtstag sich mal spendabel zeigen würde, vielleicht 140 oder 150 zur Feier des Tages. In der einen Hand das Lenkrad, in der anderen den Kalender, diese Lösung gefiel den Parlamentsabgeordneten überhaupt nicht und sie verlangten, im Sinne der bevorstehenden europäischen Vereinigung eine Änderung der Vorschriften: Tempolimit wie in den europäischen Nachbarländern. Ein EU-Mittelwert sozusagen.


Na gut, sagte sich Minister Ferri, nahm die Aufforderung wörtlich und präsentierte einen neuen Vorschlag. 114,6 Stundenkilometer, das sei die mittlere europäische Höchstgeschwindigkeit. 114,6 km/h, das sei doch wieder mal ein pasticcio italiano, typisch italienischer Pfusch, meinten die Abgeordneten, forderten Ferris Rücktritt und eine neue Lösung des Problems: runter vom Gaspedal, also Tempo 110 – für die kleinen Autos, rauf aus Gaspedal – 130 – für alle die mehr als 1200 Kubik unter der Haube haben. Schon wieder ein Pasticcio Italiano weit weg von einer Angleichung an europäische Verhältnisse: jetzt schleudert die Regierung vor lauter Gasgeben und Bremsen geradewegs in eine Krise und der sozialistische Abgeordnete Testa hat messerscharf erkannt, was die europäischen Nachbarn über italienische Tempolimits denken: “Die halten uns doch für Witzbolde!“.


Den deutschen Italien-Touristen bleibt zum Trost ein italienisches Sprichwort: chi va piano va lontano – zu deutsch Eile mit Weile, mal mit 110, mal mit 130, da wird’s einem auch bestimmt nicht langweilig. 

Oktober 1988, Karl Hoffmann


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