
Bomben am Gardasee
Mit dem Zeug da drunten könnte man glatt einen Krieg führen, meinte einer der Polizeitaucher, nachdem er wochenlang das Ostufer des größten italienischen Sees abgesucht hatte. Zwischen Malcesine und Torbole ist der Untergrund ein einziges Waffenlager. Tausende von Granaten, Panzerminen, Kanonenmunition, Bomben, Amphibienfahrzeuge und sogar Panzer.
Alles aus Beständen der Wehrmacht, auf der Flucht vor den alliierten Truppen am Ende des 2. Weltkriegs hastig im See versenkt. Unter den älteren Bewohnern am Gardasee spricht man nicht gerne von jenen Tagen, aber viele erinnern sich noch, was damals geschah.
Der Gemischtwarenhändler von Torbole weiß von Granaten, die beim Aufschütten des Urlauberstrandes vor seinem Laden im Wasser gefunden wurden. Und er hat auch von dem Sprengstoff gehört, der in diesen Tagen an die Wasseroberfläche geholt wurde. Feinsäuberlich verpackt und völlig intakt kamen Dutzende von Sprengstoffpaketen ans Tageslicht und lagern jetzt in den Polizeilabors. Der zuständige Untersuchungsrichter Felice Casson glaubt, endlich ein Stück näher an die Aufklärung blutiger Bombenattentate der letzten 14 Jahre in Italien gekommen zu sei : Experten sollen herausfinden, ob der Sprengstoff, den die Wehrmacht im April 1945 im Gardasee versenkt hat, Jahrzehnte später zu einem Teil von Neofaschisten benützt wurde. Mindestens drei Attentate gehen auf das Konto der Neofaschisten: der Bombenanschlag von Brescia und der auf den Schnellzug Italicus im Jahre 1974 und das grausame Blutbad von 1980 im Bahnhof von Bologna mit zusammen mehr als 100 Toten und 400 Verletzten.
Schon vor einiger Zeit hatten mehrere festgenommene Täter von einem geheimen Sprengstofflager in einem oberitaliensichen See gesprochen. Unwhrscheinlich ist diese Behauptung nicht. Am Gardasee, in Salò, hatten sich bis 1945 die letzten Anhänger Mussolinis verschanzt und noch lange Zeit gab es dort Nazi-Sympathisanten. Durchaus möglich, daß der Gardasee, Urlaubsparadies und Treffpunkt zahlloser Surfer aus Deutschland, heimlich als Waffenlager diente. Besonders pikant wird die Angelegenheit durch Zeugenaussagen, wonach bereits 1948 die Behörden Munition und Sprengstoff aus dem Gardasee holten, um sie Israelis in Palästina zu verkaufen.
Unwahrscheinlich.
Oktober 1988, Karl Hoffmann
